Überblick
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs hatte Deutschland an seiner Ost- und Westgrenze bedeutende Gebietsverluste hinnehmen müssen, durch die das Deutsche Reich etwa 70 000 km² seines Territoriums und mehr als 6 Mio. seiner Einwohner verlor. Die neuen deutschen Staatsgrenzen waren bei den Friedensverhandlungen beschlossen und am 28. Juni 1919 in den vom Deutschen Reich und von den 27 beteiligten Mächten unterzeichneten Versailler Verträgen ratifiziert worden. Die Waffenstillstands-Bedingungen hatte man der deutschen Seite ultimativ zugestellt, Gegenvorschläge wurden von vornherein abgelehnt. Zu den Vereinbarungen zählten auch die Verpflichtung zur Entmilitarisierung des deutschen Rheinlands und zu Reparationszahlungen, unter anderem in Form einer anteiligen Abgabe der Jahresproduktion der Eisen- und Stahlerzeugung und der landwirtschaftlichen Produktion.
Bestimmungen des Versailler Vertrages
Danzig wurde vom Deutschen Reich abgetrennt, mit Teilen der umgebenden Landkreise dem Schutz des Völkerbunds unterstellt und in das polnische Zollgebiet aufgenommen. Luxemburg schied aus dem deutschen Zollverein aus und schloss mit Belgien eine Wirtschaftsunion. Elsass-Lothringen fiel an Frankreich. Im Norden des Reiches entstand auf dem Gebiet Westpreußens der sogenannte Polnische Korridor, der aus dem größten Teil der Provinz Posen, dem Gebiet um Soldau und aus Teilen Pommerns bestand. Ostpreußen war damit vom Reich abgetrennt. Das Hultschiner Ländchen ging an die Tschechoslowakei.
Neben diesen Landesteilen, über deren Abtretung von den Alliierten entschieden worden war, gab es die Abstimmungsgebiete, in denen die Bevölkerung über ihre zukünftige nationale Zugehörigkeit selbst entscheiden sollte. Zu ihnen zählten Nordschleswig, Westpreußen östlich der Weichsel und das südliche Ostpreußen (Bezirk Allenstein), Eupen-Malmedy an der belgischen Grenze, Oberschlesien und das Saargebiet. Eupen-Malmedy fiel an Belgien und Nordschleswig an Dänemark. In Oberschlesien votierten 59,6 Prozent für das Deutsche Reich. Nach Unruhen unter der polnischen Bevölkerung wurde eine willkürliche Grenze festgelegt, die den Minderheiten Rechnung tragen sollte. Oberschlesien wurde geteilt, wobei die kohlenreichen Gebiete des Südostens polnisch wurden. Auch das Saarland fiel unter die Treuhandschaft des Völkerbundes, mit der Maßgabe, dass nach 15 Jahren eine Volksabstimmung über den Status quo oder eine Vereinigung mit Deutschland oder Frankreich stattfinden sollte. Die Rückgliederung erfolgte im Jahre 1935, nachdem 90,8 Prozent der Bevölkerung für einen Anschluss an das inzwischen nationalsozialistische Deutschland votiert hatten. Die ursprünglichen Pläne, einen Einheitsstaat mit starker Exekutive um den Staatspräsidenten zu schaffen, wurden zugunsten eines föderativen Reichsaufbaus fallengelassen. An die Stelle der Königreiche, Herzog- und Großherzogtümer traten die 17 Länder Anhalt, Baden, Bayern, Braunschweig, Bremen, Hamburg, Hessen, Lippe, Lübeck, Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz, Oldenburg, Preußen, Sachsen, Schaumburg-Lippe, Thüringen und Württemberg. Mit Ausnahme des 1935 hinzugekommenen Saarlands blieb diese Länderkarte bis 1937 unverändert.
Das nationalsozialistische Deutsche Reich
Auch wenn die deutschen Länder 1937 formal noch bestanden, war das föderalistische System längst aufgehoben. Die Gleichschaltung der Länder, auch der Kommunen, Verbände und Vereine, vollzog sich in den Tagen zwischen dem 5. und 9. März 1933, wobei sich die Nationalsozialisten zur Machter-oberung einer charakteristischen Doppelstrategie bedienten: Auf der einen Seite gab es auf der Straße die revolutionären Aktionen von unten, auf der anderen die scheinlegalen administrativen Maßnahmen der Reichsregierung. Begründet wurde die konzertierte Aktion mit der Wahl vom 5. März 1933, bei der die NSDAP mit 43,9 Prozent und die Deutschnationalen mit 8 Prozent eine – relativ knappe – Mehrheit errungen hatten.
Überall im Land kam es zu organisierten Kundgebungen des „Volkszorns“. SA-Männer, Parteiaktivisten und Sympathisanten versammelten sich vor den Rathäusern oder Regierungsgebäuden, forderten das Hissen einer Hakenkreuzfahne, die Posten des Bürgermeisters und des Polizeipräsidenten und drohten andernfalls mit der Erstürmung der Gebäude. Der Reichsinnenminister Wilhelm Frick nutzte die von oben gesteuerten Unruhen, um unter dem Verweis auf die „Reichstagsbrandverordnung“ einzugreifen und die Landesregierungen abzusetzen. An ihre Stelle rückten Kommissare, die, wie die nun ebenfalls kommissarisch ernannten Polizeipräsidenten, zuverlässige Parteileute waren.
Hitler, durch das „Ermächtigungsgesetz“ vom 23. März 1933 in der Lage, Reichsgesetze zu erlassen, besiegelte das Ende des föderalistischen Systems durch das „Vorläufige Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich“ vom 31. März und durch das „Zweite Gesetz zur Gleichschaltung der Länder“ vom 7. April. Hitler konnte nun persönlich Reichsstatthalter ernennen, die ihrerseits über die Landesregierungen unumschränkt herrschten. Es entwickelte sich durch diesen Gleichschaltungsprozess eine verfassungsrechtliche Situation, die – charakteristisch für die totalitäre Herrschaftsform des „Dritten Reichs“ – nie eindeutig geklärt wurde: eine unmittelbare Einheit von Partei und Staat und ein damit einhergehendes Kompetenzgerangel, das die Identifikation der Funktionäre mit den Zielen der Bewegung keineswegs schwächte, sondern vielmehr stärkte.
Begleitet wurde die Abschaffung des Föderalismus von einer großen „Säuberungswelle“, in deren Verlauf Juden und alle politischen Gegner aus ihren Ämtern verdrängt wurden. Die organisierte Auflösung aller oppositionellen Kräfte begann am 2. Mai 1933 mit dem Verbot der deutschen Gewerkschaften und der Bildung der Deutschen Arbeitsfront. Bis Anfang Juli wurden alle politischen Parteien entweder verboten oder zur Selbstauflösung gedrängt. Am 11. Juli erklärte Hitler die „nationale Revolution“ für beendet, vier Tage später erging das Gesetz gegen die Neubildungen von Parteien, mit dem die NSDAP zur Staatspartei erhoben wurde.
Das unterdessen erlassene „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April war die erste legislative Maßnahme des nationalsozialistischen Staates zur Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung; am 22. September folgte das „Reichskulturkammergesetz“, das für alle jüdischen Kulturschaffenden ein Berufsverbot verhängte. Ab der Mitte des Jahres 1934 steigerte der antisemitische Fanatiker Julius Streicher seine Aktivitäten, indem er sein Hetzblatt „Der Stürmer“ überall im Reich in Schaukästen aushängen ließ. 1935 begann die Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung in öffentlichen Einrichtungen, Geschäften und Cafés; noch im selben Jahr wurden auf dem Nürnberger Reichsparteitag die „Rassengesetze“ zum „Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ verabschiedet, durch die die Juden offiziell zu Staatsbürgern zweiter Klasse wurden. Eheschließungen und außerehelicher Geschlechtsverkehr zwischen Juden und „Ariern“ waren von nun an untersagt.
Im Jahre 1937 war die nationalsozialistische Herrschaft im Innern des Reiches gefestigt und der Antisemitismus zu einer Staatsdoktrin geworden. Die „Gleichschaltung“ der deutschen Bevölkerung war durch die Arbeit des Reichspropagandaministeriums von Joseph Goebbels und durch die Beseitigung der politischen Gegner abgeschlossen. Hitler wandte sich nun verstärkt außenpolitischen Unternehmungen zu.
Am 5. November versammelte er die drei Oberbefehlshaber des Heeres, der Marine und der Flotte nebst dem Reichsaußenminister von Neurath und dem Reichskriegsminister von Blomberg zu einer Geheimkonferenz in der Reichskanzlei. Im kleinen Kreis entwickelte er in einer vierstündigen Rede noch einmal jene außenpolitischen Pläne, die er bereits in seiner Schrift „Mein Kampf“ niedergelegt hatte. Was bis zu diesem Zeitpunkt ein ideologisches Fernziel gewesen war, die Vergrößerung des Herrschaftsraumes des „arischen“ deutschen Volkes, wurde nach dieser Geheimkonferenz zum Bezugspunkt der konkreten deutschen Wirtschafts- und Außenpolitik.