Überblick
Das Farbbild der Kartensequenz 1900–1937–1970–2023 darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die reinen Bevölkerungsdichtewerte raumgreifenden politischen und gesellschaftlichen Veränderungen nur langsam und erratisch folgen. Selbst ein so wichtiges demographisches Merkmal wie die Mobilität der Bevölkerung kann nur indirekt aus dem Verteilungsmuster gefolgert werden. Immerhin lassen sich jedoch auch historische Entwicklungen an der Entwicklung und Veränderung der Bevölkerungsdichte einigermaßen akkurat nachvollziehen.
Bevölkerungsdichte, Verstädterung und Industrialisierung
Die Tendenz zur regionalen Bevölkerungskonzentration steht in einem engen Zusammenhang mit den Prozessen der Verstädterung und Industrialisierung und ist insofern ein Resultat des 19. und 20. Jahrhunderts. Lag in den vorhergehenden Jahrhunderten die Wachstumsrate der Städte kaum über dem allgemeinen Bevölkerungszuwachs, so änderte sich dies mit der Industrialisierung. Standortpräferenzen zu Beginn der Industrialisierung waren zunächst Rohstoff- und Energievorkommen, aber auch die Verkehrslage. Das Ruhrgebiet ist ein frühes Beispiel für diese Entwicklung, zur Jahrhundertwende zeigte es bereits eine gewisse Reifestruktur.
Das schnelle Bevölkerungswachstum in Industriestädten war zum einen das Ergebnis einer ersten großen Wanderungsbewegung, der Landflucht, die zunächst das Umland, dann auch weiter entfernt gelegene Räume umfasste. Zum anderen war es eine Folge der Geburtenraten in den Städten, die in der Gründerzeit überdurchschnittlich hoch waren, nicht zuletzt aufgrund der Altersstruktur der zugewanderten Bevölkerung.
Für Industrieansiedlungen galt in der Phase der Industrialisierung das Prinzip der Selbstverstärkung: Infrastrukturvorteile, die sich mit der Industrialisierung entwickelt hatten, waren attraktiv für weitere Ansiedlungen. Deshalb sollte die Verknüpfung von Bevölkerungskonzentrationen und Industrialisierung nicht als ein monokausaler Prozess betrachtet werden. Die Industrialisierung war vielmehr eingebettet in einen gesellschaftlichen Wandel und eine allmähliche Verbesserung der Lebensverhältnisse. Moderne Massentransportmittel ermöglichten eine größere Konzentration von Menschen auf begrenztem Raum, wodurch sich Stadtregionen unterschiedlicher Verdichtung herausbilden konnten. Natürlich hat auch der Dienstleistungssektor sehr zur Ausbildung von Ballungsgebieten und Verdichtungsräumen beigetragen.
Entwicklungsstränge zwischen 1900 und 1937
Die Karte von 1900 zeigt, dass die damals bereits bedeutenden Großstädte noch scharf gegen das agrarische Umland abgegrenzt waren. Ihre nachfolgende konzentrische Ausdehnung wurde stark durch die (Auto-)Mobilisierung der Bevölkerung, zum Teil auch durch die Ausweitung des schienengebundenen Verkehrs vorangetrieben. Ein zweiter Grund war die rasante Entwicklung des Wohnungsbaus nach dem Zweiten Weltkrieg, die eng mit einer Steigerung des Lebensstandards gekoppelt war. Auf der Karte ist auch zu sehen, dass sich Bevölkerungskonzentrationen um das Jahr 1900 herum allenfalls erst im Ansatz zeigten. Ausgeprägt waren allerdings schon die Gegensätze zwischen agrarischen, meist peripheren Räumen – etwa der Norddeutschen Tiefebene oder dem südlichen und östlichen Bayern – und den industriellen Räumen mit einer starken wirtschaftlichen Dynamik, wie dem Ruhrgebiet, der Region Frankfurt/Mainz/Ludwigshafen/Mannheim, dem Stuttgarter Raum und Sachsen.
Die Karte von 1937 zeigt bereits eine stark angewachsene Zahl von Großstädten, die ein Resultat des anhaltenden Verstädterungsprozesses in den vorausgegangenen Jahrzehnten waren. Es heben sich erstmals auch industrielle Verdichtungsräume außerhalb des damals bereits klar erkennbaren Rhein-Ruhr-Gebietes ab, beispielsweise der polyzentrische Ballungsraum Oberschlesien oder das Saar-Revier.