Südosteuropa, Türkei, Kaukasus - Wirtschaft

Südosteuropa, Türkei, Kaukasus - Wirtschaft
978-3-14-100919-4 | Seite 118 | Abb. 1| Massstab 1 : 6000000

Überblick

Die Karte umfasst den Raum zwischen Serbien, den südlichen Steppengebieten der Ukraine und des europäischen Russlands, den Nord- und Südkaukasus sowie Anatolien mit dem Übergang in den Nahen Osten (Syrien, Irak, Iran). Zahlreiche Konfliktherde hemmen dort die wirtschaftliche Entwicklung. Kriege im Irak, in Syrien, im Libanon, der Ukraine und im Kaukasus hinterliessen bzw. hinterlassen Zerstörungen, Armut und Flüchtlinge.

Wirtschaftsräume

In Südosteuropa verlaufen Grenzlinien zwischen dem integrierten europäischen Wirtschaftsraum mit den EU-Mitgliedern Griechenland, Bulgarien, Rumänien, Ungarn und Kroatien einerseits und den weiteren Nachfolgestaaten Jugoslawiens, Albanien und Moldau andererseits. Von diesen sind bis auf den international nicht unumschränkt anerkannten Kosovo nunmehr alle Staaten EU-Beitrittskandidaten. Ungeachtet ihrer Zugehörigkeit zur EU bestehen jedoch auch in Griechenland, Bulgarien, Rumänien und Kroatien wirtschaftliche Strukturprobleme, wenn auch mit unterschiedlichen Ursachen (Schuldenkrise bzw. Transformation).
Die Türkei ist durch eine Mittlerstellung zwischen der EU und dem Nahen Osten zu charakterisieren. Sie nimmt mit ihrer kontinuierlichen wirtschaftlichen Entwicklung innerhalb der Region eine Sonderstellung ein. Allerdings hat die Coronapandemie den Tourismus einbrechen lassen. Hinzu kommen Währungsverfall, Unternehmensverschuldung und eine defizitäre Handelsbilanz.
Die früheren Sowjetrepubliken Ukraine, Georgien, Aserbaidschan und Armenien ringen um eine eigenständige Entwicklung und (proeuropäische) Perspektive in unmittelbarer Nachbarschaft zur Grossmacht Russland. Territoriale Konflikte und kriegerische Auseinandersetzungen flackerten immer wieder auf. Seit Längerem ist besonders die Kaukasusregion ein Feld ethnischer Auseinandersetzungen und Spielball geopolitischer Interessen. Energiereserven am Kaspischen Meer (Aserbaidschan, Kasachstan) wecken Begehrlichkeiten. Der in Etappen begonnene und seit Februar 2022 vollständig eskalierte Ukrainekrieg hat zu schweren wirtschaftlichen, demographischen und politischen Verwerfungen geführt, die globale Ausmasse haben und das Ende der historischen Phase nach Beendigung des Kalten Krieges markieren.
Die Republik Zypern ist ein Beispiel für politische Zerstückelung: Nationalitätenkonflikte führten hier in Verbindung mit dem Eingreifen regionaler Mächte (Griechenland, Türkei) zur anhaltenden Teilung der Insel.

Naturräumliche Ausstattung, Landwirtschaft, Rohstoffe

Der Naturraum lässt sich in vier grosse Einheiten gliedern:
In ein in West-Ost-Richtung verlaufendes Band aus Gebirgen und Hochländern sind wenige Beckenlandschaften eingelagert. Das Ägäische Meer mit seinen zahlreichen Inseln, das Marmarameer und der Bosporus unterbrechen dieses Gebirgsband. Der geologische Bau und das Relief bedingen Naturrisiken (Erdbeben) und erschweren die Erschliessung für den Verkehr. Landwirtschaftliche Gunsträume sind hier vor allem die Becken, die schmalen Küstenebenen und die Täler der grösseren Flüsse. Bei bestimmten Erzeugnissen (Haselnüsse) stammt ein Grossteil der Weltproduktion aus der Region.
Im Norden der Gebirgsbandes erstrecken sich die osteuropäischen Ebenen. Ausreichend hohe Niederschläge und fruchtbare Böden machen sie zu einem landwirtschaftlichen Gunstraum: etwa für einen grossflächigen Anbau von Weizen, Mais und Sonnenblumen, regional auch von Sonderkulturen wie Wein und Tabak.
Im Süden des Gebirgsbandes schliesst sich der Fruchtbare Halbmond an. Er markiert den Übergang zu den Wüsten der Arabischen Halbinsel. Wo es ausreichend Wasser gibt – am Fuss der Gebirge und in den Flussoasen von Euphrat und Tigris – ist eine produktive Bewässerungslandwirtschaft möglich; angebaut werden Baumwolle, Getreide, Zitrusfrüchte und Dattelpalmen. Ausserhalb dieser Gebiete wird Wasser immer stärker zum limitierenden Faktor der Landwirtschaft.
Die östlichen Nebenmeere des Mittelmeers und das Schwarze Meer schieben sich bis zum Asowschen Meer weit in die eurasischen Kontinentalmassen vor, doch besteht eine deutliche Abseitslage zu den offenen Weltmeeren (Atlantischer und Indischer Ozean). Schiffbare grosse Flüsse sind die Donau und die nördlichen Zuflüsse des Schwarzen Meers (Dnipro, Don).
Die gesamte Region ist reich an Rohstoffen. Erdöl und Erdgas werden vor allem am Kaspischen Meer und im Irak gefördert und überwiegend exportiert. Die Steinkohle- und Erzlager in der Ukraine bilden die Basis der dortigen Montanindustrie, die jedoch kriegsbedingt weitgehend zerstört ist oder brach liegt. Braunkohle ist in vielen Ländern eine wichtige Säule der nationalen Energieversorgung (Bulgarien, Türkei, Serbien). Das Spektrum bei Metallerzen ist breit und reicht von Bauxit über Stahlveredler, Blei, Zink und Kupfer bis zu Gold. Zwar werden keine Fördermengen erreicht, die grosse Weltmarktanteile ermöglichen, dennoch ist die volkswirtschaftliche Bedeutung des Erzbergbaus erheblich.

Industrie und Dienstleistungen

Aus den Erdöl- und Erdgasfördergebieten erstreckt sich ein dichtes Netz grosser Pipelines, die zum Teil direkt zu den Abnehmern verlaufen, zum Teil in Häfen am Mittelmeer oder am Schwarzen Meer enden. Diese Strukturen bestimmen das Standortnetz der Raffinerien und der chemischen Industrie. Einnahmen aus dem Export von Erdöl und Erdgas prägen in vielen Förderländern die Wirtschaftsstrukturen und finanzieren den Staatshaushalt zu grossen Anteilen, besonders in Aserbaidschan.
Die Türkei ist das wirtschaftlich stärkste Land der Region. Die Industrie- und Dienstleistungsstandorte konzentrieren sich auf die grossen Küstenstädte im Westen des Landes, auf die Hauptstadt Ankara und die Region um Adana am Mittelmeer (s. Karte 116.1). Neben Industriebranchen auf niedrigem Technologieniveau (Textilindustrie, Bauwirtschaft) treten Unternehmen auf mittlerem bis hohem Niveau (Konsumgüterindustrie, Produktionsstätten ausländischer Kfz-Hersteller, Flugzeugbau, Elektronik). In der Schwarzmeerregion und in Anatolien ist der Anteil der Landwirtschaft an der Wirtschaftsleistung relativ hoch, in der Region um Antalya („türkische Riviera“) ist der Tourismus die Leitbranche. Der Südosten Anatoliens hat durch das GAP-Projekt starke wirtschaftliche Entwicklungsimpulse erhalten (s. Karte 117.3); dort liegt ein Zentrum der türkischen Textilindustrie. Istanbul begünstigt durch seine Lage am Bosporus, ist die Wirtschaftsmetropole des Landes (s. Karte 116.2). Elf der 15 grössten türkischen Unternehmen haben dort ihren Hauptsitz.
Die Ukraine war vor dem militärischen Angriff Russlands (2022) hinsichtlich der Roheisenerzeugung mit Brasilien, den USA und Deutschland vergleichbar und einer der weltgrössten Exporteure von Stahlerzeugnissen. Zwar war die Produktion im Zuge der Transformation nach 1990 zunächst zurückgegangen, sie stabilisierte sich aber nach 2000 und nahm bis zum Konflikt in der Ostukraine 2014 wieder zu.

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