Deutschland - Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte

Deutschland - Landwirtschaftliche Betriebe
978-3-14-100900-2 | Seite 61 | Abb. 3| Maßstab 1 : 7000000

Überblick

Anhand der Karte lassen sich unterschiedliche Standortfaktoren für die deutsche Nahrungsmittelindustrie nachvollziehen. Denn häufig spielt die Nähe zu den Anbaugebieten der Ausgangsprodukte nicht mehr die entscheidende Rolle.

Verarbeitungsstandorte der Nahrungsmittelindustrie

In der Nahrungsmittelindustrie entscheiden diverse Faktoren über die Lage der Verarbeitungsstandorte: die Nähe zu Absatzmärkten, Häfen und Handelsplätzen, die Verkehrslage, Know-how und Arbeitskosten, Fördermittel bei Unternehmensansiedlungen, regionale Produktionsnetze / Cluster und nicht zuletzt auch marketingwirksame Traditionen einer Region. Die Nähe zu den Anbaugebieten der Ausgangsprodukte spielt oft nicht mehr eine so bedeutende Rolle wie früher, ist jedoch in einigen Branchen noch ein ganz wesentlicher Faktor.

Zuckerindustrie

Die Zuckerindustrie ist vorrangig in Gebieten mit fruchtbaren Böden angesiedelt, die für den Zuckerrübenanbau geeignet sind, um kurze Transportwege zwischen Ernte und Verarbeitung zu gewährleisten. Anzahl und Verteilung der Verarbeitungsstandorte gehen maßgeblich zurück auf die 1967 in Kraft getretene EU-Zuckermarktordnung. Diese sollte Preise stabil halten und die Zuckerbauern vor billigen Importen schützen. Über eine Quote war geregelt, wie viel Menge Zucker produziert werden durfte, Zuckerfabriken mussten den Landwirten einen Mindestpreis zahlen und die Exportmengen waren durch die Quotenregelung ebenfalls gedeckelt. Die Marktordnung war in dieser Form bis September 2017 gültig, danach fielen nationale Zuckerquoten und Rübenmindestpreise weg. Die europäischen Zuckererzeuger stehen seitdem in Konkurrenz zu großen zuckererzeugenden Drittstaaten wie Brasilien, Indien, Thailand, Australien und Mexiko. Dies könnte den EU-Binnenmarkt langfristig deutlich verändern.

Milchverarbeitung

Die milchverarbeitende Industrie zählt mit einem Umsatz von 28,5 Milliarden Euro und über 40 000 Beschäftigten (2021) zu den wichtigsten landwirtschaftlichen Produktionszweigen in Deutschland. Die Zahl der Betriebsstätten ist in den vergangenen Jahrzehnten jedoch stark zurückgegangen, vor allem die der kleinen und mittelständischen Betriebe. 2021 gab es 163 milchverarbeitende Unternehmen in Deutschland. Ihre Standorte konzentrieren sich wegen der leichten Verderblichkeit an den Orten der Milchviehhaltung; sie sind regional breit gestreut (s. 61.4).

Fleischverarbeitung

Im Bereich der Fleischverarbeitung ist eine Konzentration auf die Produktionsgebiete unverkennbar, wie vor allem das Oldenburger Münsterland zeigt (s. 60.5). Früher erfolgte die Schlachtung in den Verbrauchsgebieten, da der Transport von lebendem Vieh unproblematischer war als der von Schlachthälften oder Teilstücken. Durch bessere Kühltechnik bereitet heute der Transport weniger Probleme.

Gemüse- und Obstverarbeitung

Betriebe der Gemüse- und Obstverarbeitung konzentrieren sich aufgrund der leichten Verderblichkeit von Obst und Feingemüse bei längeren Transporten in den Hauptanbaugebieten. Ein ähnlicher Trend lässt sich bei den Betrieben erkennen, die Kartoffeln verarbeiten. Grund ist hier weniger die Verderblichkeit als eher der Transportaufwand. Um genügend Rohstoffe zur Verfügung zu haben und die verarbeitenden Betriebe auszulasten, werden in diesen Sektoren häufig Verträge mit den liefernden Landwirten aus der Region abgeschlossen.

Fischverarbeitung

Die Fischverarbeitung erfolgt in Deutschland v. a. auf der Basis von Importen, die an der Küste angelandet werden; Zentren sind Bremerhaven und Cuxhaven. Auch in diesem Sektor lässt sich eine Konzentration beobachten.

Veränderungen des Marktes

Die Industrie steht heute vor anderen Herausforderungen als noch vor einigen Jahrzehnten. Der Preisdruck und die Verbraucheransprüche im Hinblick auf Qualität, Frische und Sortiment sind stark gestiegen, während der Anteil der Kosten für landwirtschaftliche Rohstoffe an den Nahrungsmittelpreisen drastisch gesunken ist.

Marktvorteile können sich ergeben, wenn sich zum Beispiel unterschiedliche Unternehmen der landwirtschaftlichen Produktion auf engem Raum ansiedeln. Der ökonomische Erfolg solcher Cluster geht auf Synergieeffekte zurück, die durch das Zusammenspiel von guten Produktionsbedingungen, kurzen Transportwegen und geballtem Know-how entstehen. Unter dem Gesichtspunkt des Umwelt- und Verbraucherschutzes (Massentierhaltung, Gefahr der Überdüngung durch hohen Tierbesatz, Seuchenrisiko, Einsatz von Zusatzstoffen etc.) sind sie jedoch auch kritisch zu betrachten.

Im Ernährungsgewerbe sind sowohl internationale Konzerne als auch mittelständische und kleine Unternehmen tätig, doch letztere unterliegen immer häufiger dem harten Konkurrenzdruck. Insbesondere bei Bäckereien und Metzgereien hat das Handwerk zwar noch immer Bedeutung, doch gibt es starke Konzentrations- und Verdrängungsprozesse hin zu industriell fertigenden Großbetrieben, die Fertig- oder Vorprodukte herstellen und vertreiben. Mit dieser Entwicklung eng verflochten ist die globale Tendenz zur Internationalisierung des Ernährungsgewerbes, in der Karte erkennbar an den zahlreichen Standorten, die zu multinationalen Unternehmen gehören (z. B. Großbrauereien).

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