St. Ulrich (Italien) - Tourismus und Umwelt

Alpen - Tourismus und Umwelt
978-3-14-100900-2 | Seite 123 | Abb. 4| Maßstab 1 : 125000

Überblick

Die Karte zeigt die gegensätzlichen Raumstrukturen zweier benachbarter Alpentäler in Südtirol (Italien). Im Grödnertal mit den drei Gemeinden St. Ulrich, St. Christina und Wolkenstein hat der Tourismus eine mehr als 100-jährige Geschichte und wird heute vom zweisaisonalen Massentourismus geprägt. Im nördlich angrenzenden Villnößtal dagegen – vom Grödnertal nur getrennt durch die Bergkette der Puez-Geisler Gruppe – hat sich erst nach 1950 ein deutlich bescheidenerer Individualtourismus mit Schwerpunkt im Sommer entwickelt. Das Tal wird heute vor allem von Gästen besucht, die einen naturorientierten Tourismus schätzen. Eine Ursache dieser gegensätzlichen Entwicklung war die frühzeitige Anbindung des Grödnertals an die Fernstraßen im Eisacktal und – durch den Bau der Grödner Schmalspurbahn 1915/16 – an das Eisenbahnnetz. Aus dem wachsenden Kapital der Talbewohner wurden erste kostenintensive Investitionen in die touristische Infrastruktur getätigt, die seitdem kontinuierlich ausgebaut wurde. Demgegenüber ist das Villnößtal bis heute stärker ackerbaulich, bergbäuerlich und forstwirtschaftlich orientiert geblieben.

Übernachtungskapazitäten und -zahlen

Während es zu Beginn des saisonalen Sommerfremdenverkehrs in St. Ulrich um 1974 etwa 500 000 Übernachtungen pro Jahr gab, waren es 2013 bereits über 600 000 und im Jahr 2019 knapp 700 000. Während der Corona-Pandemie sanken die Übernachtungszahlen deutlich und erreichten 2021 nur noch einen Wert von 428 000. Bis zur Corona-Pandemie bestand bei den Übernachtungen ein leichtes Übergewicht in der Wintersaison mit rund 355 000 Übernachtungen im Winterhalbjahr zu 341 000 im Sommerhalbjahr (Zahlen für das Jahr 2019). Während der Pandemie hat sich das Verhältnis grundlegend verschoben zu 224 000 Übernachtungen im Winterhalbjahr und 253 000 im Sommerhalbjahr im Corona-Jahr 2020 und nur noch gut 84 000 Übernachtungen im Winterhalbjahr gegenüber 343 000 im Sommerhalbjahr im Jahr 2021. Vergleichbare pandemiebedingte Rückgänge wie in St. Ulrich zeigen sich auch in Wolkenstein und St. Christina. Die Aufenthaltsdauer lag 2019 bei 5,2 Tagen, die durchschnittliche Auslastung bei 40,9 %. Der wirtschaftliche Stellenwert des Tourismus im Grödner Tal wird deutlich, wenn man die Bettenzahlen zur Bevölkerung in Beziehung setzt. In St. Ulrich, dem Hauptort des Grödnertals, kommt auf jeden Ansässigen etwa ein Gästebett, in St. Christina sind es 1,5 und in Wolkenstein 3,3 (Stand 2019)

Das Villnößtal kommt mit 158 000 Übernachtungen pro Jahr (knapp 77 % davon im Sommer) auf etwa ein Fünftel des Wertes von St. Ulrich. Hinsichtlich der Bettenzahlen übertrifft allein Wolkenstein das Villnößtal um das Sechsfache. Der coronabedingte Rückgang bei den Übernachtungszahlen war in Villnößtal mit –10 % deutlich geringer als im Grödnertal.

Umweltbelastungen im Grödnertal

Der exzessive Ausbau des Beherbergungssektors und der touristisch bedingten Infrastruktur im Grödnertal geht mit einer Vielzahl von Umweltbelastungen einher. Zersiedlungsphänomene an der Peripherie von St. Ulrich, St. Christina und Wolkenstein und die gleichzeitige innerörtliche Verdichtung haben die gewachsenen Ortsbilder stark verändert. Zur Bodenversiegelung und der Erschließung zahlloser Pisten kommt in jüngster Zeit die Errichtung flächenintensiver touristischer Anlagen.

Analysen zur Verkehrsbelastung erbrachten im Grödnertal ein etwa zehnmal größeres Verkehrsaufkommen mit entsprechend höheren Emissionswerten als im benachbarten Villnößtal. Die lufthygienisch ungünstigen Bedingungen im Grödnertal, die sich insbesondere bei winterlichen Inversionswetterlagen bemerkbar machen, spiegeln sich in der gegenüber dem Villnößtal deutlich verringerten Flechtenvitalität wider. Die verkehrsbedingte Lärmbelastung schränkt die Erholungseignung für Gäste, aber auch die Lebensqualität der Einwohner erheblich ein. Schließlich ergeben sich aus der starken Konzentration des Tourismus auf wenige Orte und die ausgeprägte Saisonalität erhebliche Anforderungen an die Entsorgung.

Die landschaftszerschneidende Wirkung der zahlreichen Bergbahnen zeigt sich besonders deutlich im Gebiet der Seiser Alm und am Piz Sella. Seit Beginn der 1990er-Jahre setzt man zunehmend auf technologische Neuerungen und Modernisierungen zur Steigerung der Förderleistung, weniger auf neue Erschließungen. Daher lag die Gesamtzahl der Bergbahnanlagen in Südtirol im Jahr 2004 mit 379 nur geringfügig über dem Wert von 1970 (339). In ganz Südtirol liegt die Beförderungskapazität inzwischen bei rund 500 000 Personen, das heißt, dass die vorhandenen Seilbahnen in einer Stunde die gesamte Bevölkerung Südtirols transportieren könnten. Es zeigt sich ein Trend zu einer ganzjährigen Nutzung der Bergbahnen: Während im Winter Skifahrer vorherrschen, sind es im Sommer Wanderer, Kletterer, Mountainbike-Fahrer sowie Drachen- und Gleitschirmflieger.

Beschneiungsanlagen

Im gesamten Alpenraum wurde im Jahr 2013 eine Fläche beschneit, die der des Bodensees entspricht. Hohe Umweltbelastungen ergeben sich unter anderem aus dem hohen Strom- und Wasserbedarf. Im Alpenraum wird für Beschneiung eine Wassermenge benötigt, die höher ist als der Jahresbedarf von München; der Strombedarf entspricht etwa dem Jahresverbrauch von Nürnberg. Der hohe Wasserbedarf führt zu stark veränderten hydrologischen Verhältnissen in den Bächen und Flüssen, ihr Abfluss geht um bis zu 70 Prozent zurück. Zudem wird durch die Anlage von große Speicherseen das Landschaftsbild verändert.

Überdies können biochemische Hilfsmittel zum Einsatz kommen, die dem Beschneiungswasser beigemengt werden, um die Schmelze zu verzögern. Diese Mittel können einen Düngeeffekt besitzen und zu Veränderungen in der die Skipisten begleitenden Vegetation führen. Zudem belasten sie die Fließgewässer.

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