Donaumündung - Deltaküste

Europa - Gewässer und Küsten
978-3-14-100919-4 | Seite 64 | Abb. 2| Massstab 1 : 1000000

Überblick

Die Donau ist mit 2 850 Kilometern Länge der zweitlängste Fluss in Europa (nach der Wolga mit 3 688 Kilometern). Sie mündet mit einem fächerförmigen Delta im rumänisch-ukrainischen Grenzgebiet ins Schwarze Meer. Das Delta hat eine Ausdehnung von rund 5 800 Quadratkilometern (doppelt so gross wie das Tessin) und bildet den Anfang einer internationalen Wasserstrasse, welche die Ukraine, Rumänien, Bulgarien, Serbien, Kroatien, Ungarn, Slowakei, Österreich und Deutschland miteinander verbindet und von dort über Main und Rhein bis nach Rotterdam führt.

Das Delta wächst

Die Donau ist der bedeutendste Vorfluter Südosteuropas und die Sammelader für die grossen Flüsse der Ostalpen, der Karpaten und der östlichen Dinariden. Am Beginn des Deltas westlich von Tulcea, am sogenannten Ceatal, beträgt der mittlere Durchfluss 7 320 Kubikmeter pro Sekunde. Allerdings sind die Differenzen zwischen Niedrigwasser (2 000 m³/s) und Hochwasser (24 000 m³/s) erheblich. Bei Tulcea verteilt sich das Wasser der Donau auf die drei grossen Stromarme Chilia im Norden (ca. 60 Prozent), St.  Georg im Süden (ca. 30 Prozent) sowie Sulina in der Mitte (ca. 10 Prozent).
Parallel zur Küstenlinie reihen sich, vor allem im Bereich des St.Georg-Arms, mehrere in Staffeln angeordnete Dünengürtel auf, die ältere Küstenlinien anzeigen. Der St.Georg-Arm wächst kräftig ins Meer hinein. Seine Schwebstoffe – insgesamt rund 80 Mio. Tonnen pro Jahr – werden mit der Meeresströmung nach Südwesten transportiert. Die durch Ablagerungen entstandenen, lang gezogenen Nehrungen haben aus ehemaligen Meeresbuchten den heutigen Razim-See und die Sinoie-Lagune geformt.
Auch am stark sedimentierenden Chilia-Arm wird die Küstenlinie immer weiter vorgeschoben, gegenwärtig um vier bis fünf Meter pro Jahr. Der Sulina-Arm, mit 72 Kilometern der kürzeste der drei Stromarme, wächst aktuell nicht mehr. Zur Sicherung der Schiffspassage wurden Betonmauern bis weit in das Meer gezogen, wodurch die Schwebstoffe hinausgeführt werden und für den Küstenaufbau nicht mehr zur Verfügung stehen.
Die zahlreichen stehenden Gewässer im Delta sind von der Sinkstoffzufuhr abgeschnitten, weshalb sie nur allmählich verlanden. Ein Spezifikum der westlichen Schwarzmeerküste sind der Jalpuh- und der Kotlabuch-See auf der ukrainischen Seite des Deltas. Bei diesen langgezogenen, tiefen Seen handelt es sich um sogenannte Limane, „ertrunkene“ pleistozäne Flussmündungen (Ria), die im Holozän durch die Ablagerungen der Donau vom offenen Meer abgetrennt wurden.

Ein einzigartiger, geschützter Naturraum

Der sowohl aus rumänischer als auch aus ukrainischer Sicht entlegene und äusserst dünn bevölkerte Raum (3,5 Einw./km2) gilt als das grösste Feuchtgebiet in Europa und ist ein wichtiges Refugium für zahllose Pflanzen und Tiere. Der weite Mündungsbereich wird von grossen Schilfbeständen beherrscht.
Die Gewässer werden von natürlichen Dämmen eingefasst, die jedoch bei jedem (Sommer-) Hochwasser überflutet werden. Trotz harter Winter sind die Gewässer, Bruchwälder, Dünen und Wiesen des Deltas das Habitat vieler Vogelarten – darunter Enten, Pelikane, Reiher und Seeadler –, zahlreicher Fische, Amphibien und Insekten sowie von Wildkatzen und Mardern. 1991 wurde dieses einmalige Ökosystem auf einer Fläche von 4 178 km2 als Biosphärenreservat unter Schutz gestellt, wovon 3 124 km2 UNESCO-Weltnaturerbe sind.

Menschen im Delta

Bereits seit der Antike wird das Delta bewohnt und bewirtschaftet. Die grössten Eingriffe in den ökologisch fragilen Raum erfolgten jedoch zweifellos in den letzten sechs Jahrzehnten. Grosse Flächen entlang des Chilia-Arms wurden eingepoldert, um landwirtschaftliche Anbauflächen zu gewinnen (Agrarpolder Pardina). Aus dem Delta sollte eine Kornkammer Rumäniens werden. In den versumpften, nicht eingepolderten Gebieten zielten die wirtschaftlichen Aktivitäten dagegen entweder auf die Verarbeitung der grossen Schilfrohrbestände oder auf eine Intensivierung der Fischzucht.
Die Ansiedlung grosser Industriebetriebe erreichte nur den Rand des Deltas; neben dem Aluminiumwerk in Tulcea (Bevölkerungszahl: rund 65 000), sind Werften und Fischfabriken die einzigen nennenswerten Standorte.
Grösster Ort im Delta selbst ist das am Ende des gleichnamigen Donauarms gelegen Sulina. Die Wohnbevölkerung von rund 3 100 Menschen arbeitet im Fischfang, als Beschäftigte in der Fischkonservenfabrik oder Gelegenheitsbeschäftigte; zum Teil leben sie von den Erträgen des eigenen Gartens. Im gesamten Delta wohnen heute nur noch rund 13 000 Menschen – 1960 waren es noch 21 000.
Drei Dinge machten das Delta schon seit frühester Zeit für Zuzügler interessant: die Schifffahrt, die Ressourcen und die Zufluchtsmöglichkeiten, die es bei Verfolgung bot.
Gegenwärtig richten sich die Hoffnungen auf den Tourismus. Der Status als Weltnaturerbe, die Angel- und Jagdmöglichkeiten und die grosse ethnisch-religiöse Vielfalt zählen zu den grossen Vorzügen des Donaudeltas. Im Delta selbst dominiert der Tagestourismus auf Ausflugsschiffen, die von Tulcea aus in Richtung Sulina oder Uzlina starten. Es sind oft Rucksack- und Individualreisende, die das Delta anzieht. In zunehmendem Masse kommen aber auch Donau-Kreuzfahrtreisende für einen kurzen Aufenthalt. Für Badegäste ist eher die Schwarzmeerküste südlich des Deltas interessant. Dort liegen der Flughafen von Konstanza und einige Hotels. Die Zahl der ausländischen Gäste im Donaudelta war schon vor der Corona-Pandemie, steigenden Preisen und schliesslich dem Krieg in der Ukraine sehr gering (2018: 26 000) und nicht mit anderen europäischen Reisezielen, insbesondere der Schwarzmeerküste im benachbarten Bulgarien, vergleichbar.

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